Die Risiken der Abnehmspritze

Da sich die Lebensmittelindustrie unermüdlich um regen Nachschub an Adipositas-Patienten kümmert, dürfte der Nachschub nie enden. Die Welt wird immer dicker, und die Kassen der Lebensmittelindusrie und der Pharmakonzerne klingeln im Takt der zunehmenden Pfunde.
In diesem Kontext taucht die Abnehmspritze als bahnbrechende Entwicklung auf. Sie bietet eine mögliche Alternative zu chirurgischen Eingriffen, insbesondere für jene, die entweder nicht operationsfähig sind oder die Voraussetzungen für Programme wie das Doc-Weight-Programm nicht erfüllen können.
Die Einführung der Abnehmspritzen, wird gern als Wunderwaffe im Kampf gegen die Epidemie der Fettleibigkeit gefeiert. Auf den ersten Blick erscheint sie als Segen für alle, die mit ihrem Gewicht kämpfen. Aber schauen wir mal genauer hin …
Eingriff ins hormonelle Gleichgewicht
Patienten mit Adipositas kämpfen oft mit einem gestörten hormonellen Gleichgewicht, das ihre Hunger- und Sättigungsgefühle beeinträchtigt. Genau hier setzen die Abnehmspritzen an. Aber wie genau funktionieren sie? Stellen wir uns vor, unser Körper wäre eine hochkomplexe, fein abgestimmte Maschine, in der Hormone als zentrale Schaltstellen agieren. Die Inhaltsstoffe dieser Spritzen greifen in unser fein abgestimmtes System ein und bringen es wieder in ein harmonisches, gut funktionierendes Gleichgewicht. Soweit die guten Nachrichten.
Von Lieferengpässen und gefälschten Medikamente
In der verzweifelten Suche nach einer Lösung für ihr Übergewichtsproblem greifen manche Menschen zu extremen und ethisch fragwürdigen Mitteln – wie dem Fälschen von Rezepten für Ozempic. Dem Medikament, das zuerst zur Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelt wurde, mit dem man aber auch erfolgreich und günstiger abnehmen kann. Mit der Markteinführung von Wegovy sollte der Off-Label-Gebrauch von Ozempic eigentlich abnehmen. Doch die Realität sieht anders aus, da Wegovy wesentlich teurer ist.
Und das bringt gleich drei gravierende Probleme mit sich:
1.) Die gestiegene Popularität von Ozempic führt zu einem bedenklichen Medikamentenmangel. Insbesondere seit Ozempic in sozialen Medien wie TikTok für Gewichtsverlust angepriesen wird, steigt die Nachfrage außerhalb der Diabetesbehandlung stark an. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) kritisiert die Engpässe in der Medikamentenversorgung, da die Substanzen, die dringend für die Diabetesmedikation benötigt werden, in Abnehmmedikamenten versickern. Der Hersteller Novo Nordisk empfiehlt sogar, bis zur Verbesserung der Versorgungslage für die nächsten sechs Monate keine neuen Patienten mit Ozempic zu behandeln.
2. ) Gefahr von Medikamentenfälschungen: Zum anderen fördert diese Verzweiflungstaktik das Aufblühen eines Schwarzmarktes für gefälschte Medikamente. Der rezeptpflichtige Status von Ozempic hat zu einem boomenden Markt für gefälschte Produkte geführt, die häufig online und rezeptfrei feilgeboten werden. Vorsicht deshalb bei Online-Apotheken, die praktischerweise das Rezept gleich mit ausstellen, weil sie von einem »unabhängigen Apotheker-Prescriber« genehmigt werden.
3.) Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) warnt daher vor beunruhigenden Fälschungen von Ozempic, wobei die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) von Fälschungen in allen EU-Staaten inklusive Großbritannien berichtet.
Diese Fälschungen enthalten oft Insulin anstelle von Semaglutid, was auf umetikettierte Insulinpens hindeutet. Apotheken sind aufgerufen, die Echtheit jeder Ozempic-Verpackung vor der Abgabe zu überprüfen. Auch Fälschungen des Liraglutid-Präparats Saxenda sind im Umlauf, wobei in Deutschland bisher keine Fälle bekannt sind.
Von diesen Fälschungen geht ein erhebliches Gesundheitsrisiko aus, da die Anwendung von Insulin anstelle von Semaglutid zu potenziell gefährlichen medizinischen Komplikationen wie schweren Hypo- oder Hyperglykämien führen kann. In Österreich mussten bereits mehrere Patienten nach der Anwendung von gefälschtem Ozempic im Krankenhaus medizinisch betreut werden.
Diese Situation ist ein trauriges Zeugnis für das Versagen des Systems, effektive und zugängliche Behandlungen für Übergewichtige bereit-zustellen. Es veranschaulicht auch, wie weit Menschen bereit sind zu gehen, um eine Lösung für ihre Gesundheitsprobleme zu finden, selbst wenn dies bedeutet, sich selbst und andere zu gefährden. Diese verzweifelten Aktionen signalisieren, wie dringend und notwendig es ist, den Zugang und die Kosten für Adipositasbehandlungen zu überdenken und zu verbessern.
Das Dilemma des Jo-Jo-Effekts
Wie lange sollte die Spritze überhaupt angewendet werden? Und was geschieht, wenn man damit aufhört?
Diejenigen, die die Abnehmspritze verwenden, ohne ihre Ernährung anzupassen, riskieren, nicht so viel Gewicht zu verlieren wie die Probanden in den Studien. Und nicht alle Betroffenen reagieren gleich auf die Medikamente: Manchmal ist die Wirkung geringer oder bleibt gänzlich aus.
Aber was machen die, die erfolgreich abgenommen haben? Werden Sie sich ein Leben lang spritzen oder riskieren sie einen möglichen Jo-Jo-Effekt?
Bereits seit 2021, also zwei Jahre vor der Markteinführung bei uns in Deutschland, wurde in der STEP4-Studie von Novo Nordisk die Gefahr einer Gewichtszunahme dokumentiert. Im Verlauf der Studie über 48 Wochen erhielten nur noch die Hälfte der Probanden wöchentliche Injektionen mit Semaglutid. Die andere Hälfte erhielt ein Placebo.
Während die Teilnehmer aus der Wirkstoffgruppe einen Gewichts-verlust von 7,9 Prozent erzielten, erreichte die Placebo-Gruppe eine Gewichtszunahme von 6,9 Prozent. Die vom Washington Center for Weight Management and Research verkündeten Ergebnisse demons-trierten damit unverkennbar, dass die Patienten wieder an Gewicht zunehmen, sobald sie Semaglutid absetzen, und folgerten daraus, dass sich die Gewichtsentwicklung fortsetzen wird und sie nach etwa drei Jahren ihr Ausgangsgewicht wieder erreicht haben werden.
Ähnliche Ergebnisse ergab die SURMOUNT-4-Studie von Eli Lilly. Hier wurde der Wirkstoff Tirzepatid untersucht. Und auch hier kam es in der Placebo-Gruppe nach dem Absetzen von Tirzepatid zu einer signifikanten Gewichtszunahme. Innerhalb von 52 Wochen stieg das Gewicht in dieser Gruppe um 14 Prozent, während die Fortführung der Tirzepatid-Behandlung eine weitere Gewichtsreduktion von 5,5 Prozent erzielte. Die Hoffnung, dass die doppelte Aktivierung von GLP-1- und GIP-Rezeptor zu einer längerfristigen Wirkung führt, hat sich damit nicht erfüllt.
Und noch eines haben die Studien gezeigt: Es schleicht sich ein gewisser Gewöhnungseffekt im Organismus ein. Anfangs sind diese Medikamente überaus effektiv, aber ohne dauerhafte Änderung des Lebensstils lässt sie allmählich ihre Wirkung nach. In der STEP-4-Studie von Novo Nordisch haben die Probanden innerhalb von 20 Wochen 10,6 Prozent abgenommen. In den folgenden 48 Wochen lediglich 7,9 Prozent seines Gewichts. Im Vergleich dazu dokumentierte die SURMOUNT-4-Studie mit Tirzepatid (Eli Lilly) in den ersten 36 Wochen eine Gewichtsreduktion von 20,9 Prozent. In der darauf-folgenden Phase über 52 Wochen nahmen die Teilnehmer nur noch 5,5 Prozent ab.
In beiden Studien lässt sich ein Gewöhnungseffekt erkennen: Nach beachtlichem Gewichtsverlust in den ersten Wochen nahmen die Probanden im weiteren Verlauf weniger stark ab. Dies deutet darauf hin, dass eine langfristige Anwendung dieser Medikamente möglicher-weise nicht die anhaltend positiven Effekte auf das Gewicht hat, die man sich erhofft. Die frühen Erfolgserlebnisse spiegeln nicht den langfristigen Erfolg wider.
Bleibt die Frage, wie die Patienten darauf reagieren? Fühlen sie sich veranlasst, die Dosis zu erhöhen oder die Anwendung zu verlängern, in der Hoffnung, die anfänglichen Ergebnisse zu replizieren. Dies könnte Patienten in einen Zyklus treiben, in dem sie immer abhängiger von der Behandlung werden, auch wenn die Vorteile mit der Zeit abnehmen.
Im Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrum in Düsseldorf wird die Wirksamkeit von Abnehm-Wirkstoffen mit einer zusätzlichen Portion Skepsis betrachtet. Die Experten dort weisen darauf hin, dass die in klinischen Studien beobachtete hohe Motivation der Teilnehmer und die intensive Schulung zur Änderung des Lebensstils in der all-täglichen Praxis oft nicht erreicht werden.
Die Kunden seien häufig weniger motiviert und erhalten nicht dieselbe umfassende Unterstützung, was nach dem Absetzen des Medikaments vermutlich zu einer noch schnelleren Gewichtszunahme als in den Studienergebnissen führen wird. Die Experten sind der Meinung, dass die Behandlung mit der sogenannten »Wunderspritze« vermutlich lebenslang notwendig sein könnte, um das Gewicht effektiv zu kontrollieren.
Aber genau das könnte zu einem Problem werden. Insgesamt gibt es zu wenig veröffentlichte Forschungen zu möglichen langfristigen Auswirkungen.
Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) weist darauf hin, dass Allgemeinärzte ihre Patienten mit hohem BMI darauf hinweisen müssen, dass diese Medikamente ein lebenslanges Engagement erfordern und, wie jedes Medikament, auch Nebenwirkungen haben. Abgesehen von dem Wirkverlust, der nach circa einem Jahr erreicht sein wird.
Eine langfristige, womöglich sogar lebenslange Einnahme dieser Medikamente könnten Patienten massiv finanziell belasten und vielleicht auch in eine psychologische Abhängigkeit drängen?
Leichte Nebenwirkungen
Keine Frage, die Wirkstoffe der genannten Abnehmmedikamente bieten Adipositas-Patienten Hoffnung und einen alternativen Weg für eine neuartige Behandlungsmöglichkeit. Allerdings sind die Nebenwirkungen der Abnahmewirkstoffe ein heiß diskutiertes Thema. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö und Verstopfung. Zusätzliche Nebenwirkungen können Reaktionen an der Injektionsstelle, allergische Reaktionen und Haarausfall sein. Diese Beschwerden sind zu Beginn oft stärker ausgeprägt und können sich mit der Zeit verringern. Schwerwiegendere gastrointestinale Komplikationen können ebenfalls auftreten. Dies umfasst Gallenerkrankungen, akute Pankreatitis, Gastroparese und möglicherweise Darmverschlüsse, wie eine Analyse der IQVIA-Datenbank im Amerikanischen Ärzteblatt andeutet. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass Gallensteine unter diesen Medikamenten etwa doppelt so häufig vorkommen.
Die Nebenwirkungen führen nicht selten zu Therapieabbrüchen. In den Zulassungsstudien haben sogar bis zu ein Viertel der Probanden die Behandlung aufgrund von gastrointestinalen Beschwerden abbrachen.
Bei soviel Magengrummeln waren natürlich die Kritiker nicht fern, die die Gewichtsverluste der Übelkeit zuschrieben und die Abnehmspritze süffisant als ein überbewertetes und überteuertes Brechmittel bezeichneten.
Doch wie jedes Medikament birgt auch die Verwendung der Abnehm-Spritzen weitaus höhere Risiken.
Schwerwiegende Nebenwirkung: Krebs
Bei Semaglutid gibt es Bedenken hinsichtlich eines möglichen Krebsrisikos, insbesondere Schilddrüsenkrebs. Allerdings sind die verfügbaren Studien begrenzt und nicht umfassend publiziert. Dennoch war die EU-Arzneimittel-Aufsicht (EMA) alarmiert und hat gleich ebenfalls vor der Gefahr von Schilddrüsenkrebs im Zusammenhang mit der Einnahme von Diabetes- und Fettleibigkeits-Medikamenten gewarnt. Diese Warnung betrifft auch Medikamente der Pharmaunternehmen Novo Nordisk, Eli Lilly, AstraZeneca und Sanofi. Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) rät von der Einnahme von Wegovy ab, wenn bei Patienten in der Familie Schilddrüsenkrebs aufgetreten ist.
Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie warnt ebenfalls vor einem erhöhten Risiko für bestimmte Schilddrüsenkrebsarten. Sie betont, wie dringend eine sorgfältige medizinische Überwachung ist, und mahnt zur Vorsicht bei der Anwendung dieser Medikamente, insbesondere bei Off-Label-Gebrauch zur Gewichtsreduktion.
Die FDA weist außerdem auf eine zusätzliche ernsthafte Nebenwirkung hin: den Ileus. Es ist eine Art von Darmblockade, die nicht durch eine physische Blockade, sondern durch Probleme mit den Muskeln oder Nerven im Darm verursacht wird. Bis zum Sommer 2023 verzeichnete die FDA 33 Fälle von Ileus nach der Einnahme von Semaglutid-Medikamenten, von denen zwei tödlich endeten.
Pfizer hat die Entwicklung eines seiner oralen Medikamente zur Gewichtsreduktion eingestellt, nachdem in klinischen Studien erhöhte Leberenzymwerte festgestellt wurden. Diese Entscheidung betraf das Medikament Lotiglipron, das nach Analyse der Daten aus Phase-1- und Phase-2-Studien aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Lebersicherheit gestoppt wurde. Ein Rückschlag für Pfizer bei der Entwicklung von Konkurrenzprodukten zu bestehenden Gewichtsverlustbehandlungen anderer Unternehmen.
Lira- und Semaglutid (GLP-1-Agonisten) werden für die Gewichts-abnahme in etwa doppelt so hoher Dosierung verabreicht wie bei der Diabetestherapie. Obwohl höhere Dosen zu größerem Gewichtsverlust führen können, erhöht sich damit auch gleichzeitig das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen. Die Dosis macht bekanntlich das Gift.
Schwerwiegende Nebenwirkung: Suizid
Parallel dazu prüft die EMA auch, ob GLP-1-Rezeptor-Agonisten suizidale Gedanken oder selbstverletzendes Verhalten auslösen könnten. Diese Überprüfung wurde initiiert, nachdem 150 Berichte über mögliche Fälle von Selbstverletzung und Suizidgedanken eingegangen waren. Die isländische Arzneimittelbehörde hat eine Überprüfung initiiert. Bereits 2021 hatte die US-amerikanische FDA suizidale Gedanken als mögliche Nebenwirkung von Semaglutid benannt. Novo Nordisk weist auf seinem US-Internetauftritt darauf hin, Patienten auf Depressionen, Suizidgedanken oder -verhalten zu über-wachen und Wegovy bei entsprechenden Anzeichen abzusetzen. Auch bei Saxenda wurden in klinischen Studien Suizidgedanken und ein Suizidversuch gemeldet.
Tirzepatid vereint sogar gleich zwei Rezeptoragonisten (GLP-1 und GIP) und hat in klinischen Studien eine noch stärkere Wirkung bewiesen als Semaglutid. So könnte der Wirkstoff – falls sich diese Annahmen bewahrheiten – ein weitaus höheres Risiko für psychische Nebenwirkungen darstellen.
Da stellt sich natürlich die Frage nach den psychologischen Auswirkungen und der Sicherheit dieser Medikamente und der Relevanz der zuständigen Studien. Ein Medikament, das dazu gedacht ist, das körperliche Wohlbefinden zu verbessern, hat solche tiefgreifenden Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, indem es derart den Hormonhaushalt aus dem Gleichgewicht bringen kann?
Scheinbar ist es wohl allgemein bekannt, dass in vielen klinischen Studien der Schwerpunkt auf physischen Ergebnissen liegt, während psychologische Aspekte oft nicht ausreichend berücksichtigt werden. Und so sind auch die STEP-Studien zu Semaglutid ein Beispiel für selektive Studienführung. Es überrascht kaum, dass in diesen Studien keine erhöhte Rate an psychiatrischen Störungen oder Suizidalität festgestellt wurde, wenn man bedenkt, dass alle Patienten mit auch nur mäßig ausgeprägten depressiven Symptomen oder gar einem Suizidversuch in der Vorgeschichte ausgeschlossen wurden.
Die Realität der psychischen Belastungen, die viele Adipositas-Patienten erleben, wurde hier elegant umgangen, um eine bequemere Sicherheitsbewertung zu erzielen. Die Aussagekraft dieser Ergebnisse ist also begrenzt, denn sie spiegeln nicht die Realität derer wider, die am meisten gefährdet sind.
Addresse
- Blankeneser Landstraße 27 22587 Hamburg
- 040/ 63 913 944
- info@nutri-deluxe.de